Das Institut in Santa Cruz und die Bildungsfrage

Unterwegs im Hinterland: (v.l.) Joachim, Ingrid, Gerhard, Aparecida, Ednalva
Unterwegs im Hinterland: (v.l.) Joachim, Ingrid, Gerhard, Aparecida, Ednalva

Aparecida ist eine Mãe Luizianerin mit Biss. Sie ist ein gutes Beispiel, dass diese Arbeit hier Sinn macht.
Sie gehört zur ersten Generation, die an der Hand von Padre Sabino ging und hatte eine durchaus schwierige Kindheit hier, aber sie hat ihre Chancen genutzt. Sie wurde Lehrerin, hat einen Doktortitel und ist nun gewissermaßen Professorin für Portugiesisch in Santa Cruz.
“Gewissermaßen” deshalb, weil der Begriff “Professor” im Portugiesischen sich nicht von “Lehrer” oder “Erzieher” unterscheidet, und das Institut in Santa Cruz (siehe weiter unten) eine interessante Mischung aus Schule und Uni ist.
Sie wohnt nicht mehr in Mãe Luiza, sondern im Südwesten von Natal in einer großzügigen Siedlung mit ihrer Mutter und den beiden Kindern.

Ein Spruch, mit dem Padre Sabino anfangs zu kämpfen hatte war: “Das bringt doch nichts; sobald es denen besser geht, sind die weg und du fängst von vorne an …” Diese Geschichte zeigt ein weiteres Mal, dass dem nicht so ist. Klar, viele junge Familien, sofern sie es sich leisten können, versuchen ihren Kindern ein sozial weniger schwieriges Wohnumfeld zu geben, und auch Aparecida wohnt nicht mehr direkt hier, aber sie und viele andere haben nicht vergessen, was ihnen durch das Centro Sózio widerfahren ist. Sie sind präsent im Viertel, helfen mit, bilden aus und unterstützen wo es nur geht.

Bild Auto Aparecida
Ja, ja, In Streikzeiten kann man sich auch mal wie der Instituts-Direktor fühlen.

Was hat es jetzt mit dem “Freien Institut für Bildung, Wissenschaft und Technologie” in Santa Cruz auf sich?
Als wir dort ankommen, ist der Campus leer, das liegt daran, dass die Professorenschaft gerade streikt. Aparecida steuert zielbewusst auf einen freien Parkplatz, an dem deutlich “Dirketorium” steht, zu. (Später parkt sie doch vorsichtshalber um 😉 )
Von diesen Instituten gibt es mehrere. Gerade im Hinterland, wo die Angebote nicht so riesig sind, bieten sie eine Antwort auf die nicht ganz gelösten Ausbildungsfragen im brasilianischen System.

Dazu muss man folgendes wissen:
In Brasilien gibt es eine Schulpflicht, die staatlichen Schulen funktionieren aber nicht richtig. Wenige (in der Regel private) Schulen bieten eine Art Hochschulreife. Normalerweise muss man erst mal an der Uni eine Aufnahmeprüfung, das Vestibular, bestehen. Dazu braucht es meist auch vorbereitende Kurse, diese kosten aber.
Die staatlichen Unis sind gut, man muss aber erst mal hinkommen, die privaten Unis sind weniger angesehen.

Bild eines heruntergekommenen Klassenraums in einer Schule im Intérior
Das Institut ist gut ausgestattet; das gilt für viele staatliche Schulen im Interior leider nicht, wie man hier sehen kann.

Auch das Berufsbildungssystem ist nicht sehr leistungsfähig. Eine geregelte mehrjährige Berufsausbildung gibt es nicht. Normalerweise macht man einen berufsvorbereitenden Kurs (der scheinbar meist was kostet … wie soll sich das ein Armer leisten können …) und wird dann mit etwas Glück irgendwo eingestellt. Dort sammelt man dann Erfahrung und kann es irgendwann.
Dieses System bleibt nicht ohne Folgen für die Volkswirtschaft: Seit Wirtschaftskrise, kommender Fußball-WM und Olympiade boomt das Land im Moment, nur es fehlen massenweise qualifizierte Arbeitskräfte, da es kein System gibt, das diese hervorbringt.
So ist z.B. die Baustelle für das WM-Stadion in Natal hoffnungslos hinter dem Zeitplan, weil es keine entsprechend qualifizierten Arbeitskräfte gibt.

Die freien Institute, wie das in Santa Cruz, versuchen dieses Problem zu lösen.
Sie bieten eine Vorbereitung auf das Vestibular, berufsvorbereitende Kurse im IT- und technischen Bereich und eine kleine Uni im naturwissenschaftlichen Bereich.

Kirche und Hügel von Santa Cruz mit der "Heiligen Rita"
Etwas dominant steht die Heilige Rita schon über der Stadt Santa Cruz

Aparecida führt uns durch gut ausgestattete Hörsäle, neue Computerräume, Räume für wissenschaftliche Mitarbeiter, mit Fingerabdruck gesicherte Professorenräume und vieles mehr. Es zeigt auch, wo Brasilien stehen könnte, wenn sich kleine Teile der Gesellschaft mal dem Problem der sozialen Ungerechtigkeit stellen würden.

Gleichzeitig denke ich mir, werden wir uns in Deutschland nicht auf Dauer auf brasilianische soziale Verhältnisse zubewegen, wenn immer mehr Leute bei uns von ihren Löhnen nicht mehr leben können? Wird man in 50 Jahren mit Geld aus Brasilien soziale Projekte in Deutschland unterstützen müssen? Wir sollten wachsam sein. – Und natürlich den Schwellenländern gönnen, dass alle Menschen einen menschenwürdigen Lebensstandard haben können.

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