Odyssee in Paulista

Nun habe ich zwar Geographie studiert und versuche mich seit Jahren an der Sprache Portugiesisch, das nützt aber wenig, wenn man nachts in der Wildnis ausgesetzt wird und in jeglicher Hinsicht keinen Plan hat. Doch von vorn:

Bild Hintereingang der Pousada
So sieht es am Hintereingang tagsüber aus.

Unser viertägiger Abstecher führte uns nach Recife und Olinda. Dies ist ein ganzes Agglomerationsband an dem auch ein Teil der Stadt Paulista beteiligt ist. D.h. die Städte gehen nahezu nahtlos ineinander über. Wir wohnten in der sehr empfehlenswerten Pousada (Pension) “Onda Brasileira”, die von einem deutsch-brasilianischen Ehepaar geführt wird. Das ummauerte Grundstück befindet sich mitten in einer reinen Wohngegend in Paulista und ist sehr unscheinbar. Das wurde auch zum Problem.

Wir waren nämlich nach Olinda gefahren, lediglich mit der richtigen Busnummer und einer Skizze, die drei Straßen zeigte und besagte, dass wir von der Küstenstraße aus nach links in eine Hauptstraße, und dann nach der 5. Lombada (das sind die auch Achsenbrecher genannten Querhügel in der Fahrbahn, die die Geschwindigkeit drosseln sollen) rechts rein in Richtung Pousada müssen.

Es ist Nacht geworden. Keine der bei der Hinfahrt gemerkten Häuser oder Landmarken ist zu erkennen. Der Bus fährt gefühlt schon viel zu lange geradeaus und biegt dann unerwartet an einer völlig unbekannten Stelle in eine riesige Wohngegend ein, wo er wiederum abbiegt und abbiegt und abbiegt. Die Himmelsrichtungen sind uns mittlerweile völlig abhanden gekommen.
Allmählich besorgt frage ich meine Sitznachbarin, wann denn die Straße käme, an der die Haltestelle liegen müsste. Nach mehreren Nachfragen auf beiden Seiten verfestigt sich der Eindruck, dass die freundliche Frau in drei Stationen aussteigt und an der vierten Station müssen wir mit drei andren Frauen aussteigen.
Immerhin, wir sind im richtigen Viertel.

An der entsprechenden Station verlassen wir völlig orientierungslos den Bus und folgen den drei Frauen in die Pampa.
(Wir erkennen dabei nicht, dass wir an der Hauptstraße mit den 5 Lombadas ausgestiegen sind und gerade die Straße Richtung Pension gehen.)
An der nächsten Kreuzung (wir müssten 20 Meter rechts gehen, dann wären wir da) verabschieden sich die drei Damen und schicken uns geradeaus weiter, dann rechts. (Sie wollen uns zum eigentlichen Eingang lotsen, wir aber kennen nur den Hintereingang.)

Dort stehen wir hilflos, es ist stockfinster und von der Pension ist keine Spur, nur der Wind und die Zykaden singen ihr Lied. (Wir stehen am Eingang, den wir nicht kennen)
Die Gedanken von uns zwei Männern werden jäh unterbrochen vom ungestümen Vorstoß der einzigen Frau im Team: “I glaab mia miaßn in de andere Richtung” Ein “Na, do samma doch heakemma” und die unausgesprochene Grundregel, dass Frauen in Orientierungsangelegenheiten nie recht haben, beenden diesen Vorstoß (der an der Seitenmauer der Pension stattfindet). Stattdessen gehen wir geradeaus weiter, wo wir ein paar Betrunkene an einer kleinen Straßenskneipe treffen. Wir beschließen, dass diese Saufköpfe eh nichts wissen und biegen Richtung Straßenlaternen ab, wo wir erkennen, dass dort die Hauptstraße mit den Lombadas ist. Zielsicher entscheiden wir uns für die falsche Richtung und biegen deshalb auch an der falschen Stelle falsch ab. Wir kämpfen uns durch Wildnis, um nach längerer Zeit wieder an den vermeintlichen Saufköpfen vorbei zu kommen, von denen die ersten unser wiederholtes Auftauchen bemerken.

Plan des Viertels in PaulistaAls wir drei Straßenzüge weiter wieder auf der Hauptstraße stehen und unsere wirre Logik austauschen, hören wir ein: “Brauchen sie Hilfe?” Eine hier wohnhafte junge Schwarze, die fünf Jahre in Trier gelebt hat, erklärt uns, dass wir immer noch die Straße um 180 Grad gedreht vermuten. Sie kennt in dieser Gegend zwar keine Pousada, aber die 5. Lombada, ja, die kann sie uns sagen.
(Leider hat sie sich um zwei Lombadas verzählt und wir landen wieder in der Pampa.)
Wir erkennen bald das grundlegende Problem und kämpfen uns auf einer Nebenstraße in die richtige Richtung. Als dort die Straße zum Trampelpfad wird, werden wir unsicher und stören in der Dunkelheit ein junges Paar, das den Mund eigentlich gerade nicht zum sprechen frei hat.
Die erklären uns geduldig, dass die Richtung stimmt, wir aber einen Häuserblock weiter nach links müssten. (Das sagen sie nur, damit wir am Trampelpfad nicht in die Pfütze treten, im Grunde stehen wir wieder fast am Seiteneingang, den wir nicht kennen.)

Nun kommen wir das dritte Mal bei den Betrunkenen an der Kneipe vorbei, die mittlerweile im Ansehen so gestiegen sind, dass wir sie um Hilfe fragen.
Bei der Frage ersterben alle Gespräche. Spannung liegt in der Luft. Wir reden was von einer Pousada an der fünften Lombada. Stille, keiner hat je davon gehört.

Plötzlich: “Ah, Hans, der Deutsche!” Alle sind erleichtert, “ja freilich, dass wir da nicht gleich drauf gekommen sind, der Hans.” Ein Mann von zwei Promille löst sich aus der Gruppe: “Ich bring euch hin, ich bring euch hin!” Zögernd folgen wir durch die Dunkelheit, seinen verwaschenen Worten können wir nur rudimentär folgen.
Und: Da stehen wir! Am richtigen Eingang, in der richtigen Straße, mit einer Stunde Verspätung und mindestens zehn Runden ums Haus.
Es lebe der Zuckerrohrschnaps!

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