Um eines gleich zu klären: Ganz anders als eine deutsche Kleinstadt.
Ich denke, dass der wesentliche Unterschied im anderen Verhältnis zum Lärm liegt.

Fangen wir mit der Nacht an:
2.00 Uhr:
Die Zykade – oder irgend so ein Zirp-Viech – singt ihr Lied und will (wie viele Brasilianer 🙂 das andere Geschlecht beeindrucken.
Mehrere Gestalten bewegen sich singend durch das Viertel. Dabei singen sie um einiges schöner als die heimischen Nacht-Prolls in der Bahnhofstraße. (Den Schlaf verhindern sie allerdings genauso nachhaltig.)
Im Zehnminutentakt landen Mosquitos auf Kopf und Händen. Erst eine Baby-Mückenschutz-Lotion mit heimischen ätherischen Ölen aus der Apotheke setzt dem Treiben in der dritten Nacht ein Ende. (Oder habe ich es nicht mehr gehört, weil ich mittlerweile ein zu großes Schlafdefizit hatte.)
3.00 Uhr
Die ersten Hähne haben bemerkt, dass in ein paar Stunden der Tag anbricht und geben schon mal ihr Bestes – abwechselnd und im ganzen Viertel verteilt. (Bei 14.000 Bewohnern in Mae Luiza sind das durchaus einige Gockerl.)
4.00 Uhr
Im Viertelstundentakt gibt es Geräusche, die an eine Alarmanlage erinnern. Bei genauerem Nachdenken handelt es sich wohl um rückwärts fahrende LKW’s, die irgendwo was zuliefern. – Wären es Einbrüche, so müsste man sich ernsthaft und dauerhaft ängstigen (was nicht der Fall ist) oder an der Geschicklichkeit der Einbrecher zweifeln.
4.30 Uhr
Die ersten Vögel erwachen und singen ihr Lied. (Wahrscheinlich schon wieder wegen der Frauen …)
5.00 Uhr
Die beiden Haushunde begrüßen (täglich genau zur gleichen Zeit – sehr ungewöhnlich für Brasilien 😉 das erste Morgengrauen mit einem lauten Heulen, das in ein extatisches Gebell mündet.
5.30 Uhr (oder so)
Der erste Bus des Tages hält (von Vollgas auf Null in 2 Sekunden), die ersten Mae Luizianer fahren zur Arbeit. Sie nehmen teilweise lange Arbeitswege auf sich und werden dennoch meist zu schlecht bezahlt.
6.00 Uhr
Die ersten Bewohner drehen ihre Stereoanlagen und Fernseher auf. Viele davon laufen bis zum Abend durch. Da die Häuser ja nicht weit von einander entfernt liegen, und keine Glasscheiben haben, ergibt dies einen gewissen Grundrhythmus, der den ganzen Tag lang über dem Viertel liegt.
7.00 Uhr
Das Leben ist schon in vollem Gange. Vor dem Fenster gehen Leute, unterhalten sich und rufen in verschiedene Häuser hinein, da es ja in der Regel keine Klingeln gibt. Das Leben spielt sich hier auf der Straße ab, auch wenn es im Haus ist, denn Privatsphäre gibt es bei dieser Bevölkerungsdichte naturgemäß kaum.
Vermutlich sind die teilweise wummernden Stereoanlagen auch eine Art sich eine Umgebung zu schaffen, bei der alles andere gefühlt mal für eine gewisse Zeit draußen bleibt.
8.00 Uhr
Die ersten Lautsprecherwägen treiben ihr Unwesen. In Natal sieht man wenig Papierwerbung an den Strassenrändern. Entweder man pinselt das Ganze gleich an Hauswände (besonders gerne Wahlwerbung) oder man beauftragt einen Lautsprecherwagen, der die Penzberger Faschingswägen vor Neid erblassen lassen würde, um seine Botschaft in die Prärie zu brüllen. Für das kleinere Werbebudget stehen wahlweise auch kleinere Autos (also keine VW-Busse) zur Verfügung, bis hinab zum Radl mit einem Lautsprecher an der Lenkergabel und / oder am Gepäckträger.
Ob die Grillen noch zirpen, die Vögel noch singen, den Gockeln jemand den Hals umgedreht hat und die Lastwägen noch rückwärts fahren, weiß ich nicht, dies geht in den unendlichen Rhythmus der Stadt ein, bis die Grillen und die Betrunkenen ihr Lied wieder eindeutig anstimmen und der Rest der Stadt schweigt oder schläft.
Genau genommen schläft dieses Viertel nicht. Nur ich nach der zweiten Nacht, als das Schlafdefizit groß genug geworden ist.