Stolperstein oder Eckstein? – Die Lebensgeschichte von Agnaildo de Gomes

Heute hatten wir ein Treffen mit Paolo Suess, einem Befreiungstheologen´, der 1966 von Deutschland kommend am Amazonas angekommen war. Begleitet wurde er von Agnaildo  de Gomes, der uns seine Lebensgeschichte erzählte.

In einem Dorf mit 13.000 Einwohnern geboren, wuchs er mit seinen Geschwistern und seiner Mutter auf. Seine einzige Möglichkeit, zum Familienunterhalt beizutragen war die Arbeit auf dem Zuckerrohrfeld.

Zuckerrohrfeld
Zuckerrohrplantagen zum Wegbeamen und zur Treibstoffproduktion © Gerhard / FrKr ML

Wie im Film von Charlie Chaplin – Moderne Zeiten – lief jeder Tag ab. Die gleiche eintönige aber anstrengende Bewegung vollzog jeder Arbeiter nicht nur den ganzen Tag, die Bewegung wiederholte sich die ganze Nacht durch. Von 13 bis 23 Jahren arbeitete Agnaildo am Feld. Dann kam er zu der Erkenntnis, dass das Leben so nicht lange weitergehen würde und er beschloss, wieder auf die Schule zu gehen, die er mit 13 Jahren verlassen hatte. In der Mittagspause lernte er, während sich die anderen kurz erholten. Abends in der Schule schlief er manchmal ein vor Müdigkeit. Da begann er mit Gott zu ringen. Er sagte: “Du hast mir mit 4 Jahren den Vater genommen, jetzt brauche ich eine Chance, nur eine Chance!”  Er ging nach São Paulo und wurde dort von den Franziskanern aufgenommen. Abends arbeitete er in der Stadt, weil sein dringender Wunsch war, zu studieren, Er bekam Kontakt mit dem Bischof und die Möglichkeit, an einer privaten Uni zu studieren. Seine Magisterarbeit schrieb er über Obdachlose von Sao Paulo,  Für die Abschlussprüfung musste er einen Text aus dem Deutschen bearbeiten. Dafür verbrachte er ein halbes Jahr in Berlin, wo er bei der “Suppenküche” Erfahrungen mit Obdachlosen in Deutschland machen konnte. In seiner Doktorarbeit verarbeitete er seine eigene Geschichte und gab ihr den Titel “Zuckerrohrschneider”. Sein Leben hatte eine außergewöhnliche Wende genommen, Normalerweise arbeiten Zuckerrohrschneider nur 10 Jahre, dann sterben sie oder sind behindert oder allgemein arbeitsunfähig, weil die Arbeit so hart ist. Normalerweise kommen die Menschen, die nach Sao Paulo gegangen sind auch ärmer zurück als sie gegangen sind. Er hatte aber einen starken Willen und auch im rechten Moment die Menschen getroffen, die ihm geholfen haben, seinen Weg zu gehen. Mal war es ein Bischof, mal ein Priester, mal ein Abgeordneter, mal…  Er hat die Möglichkeiten aber auch wahrgenommen.

Nicht jeder hat diese Möglichkeiten, aber eigentlich müsste sie jeder haben. Sein Ziel ist es nun, den Studenten weiterzugeben, dass diese Möglichkeiten für alle eröffnet werden müssen. Er setzt sich dafür ein und gibt dieses Engagement an seine Studenten weiter, dass Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten  verbessert werden. Dafür sieht er  Demonstrationen und Hausbesetzungen auch als geeignete und zulässige Mittel an – auch um zu Landzuweisungen zu kommen. Auch die Gesundheit der Arbeiter liegt Agnaildo am Herzen. Die Arbeiter sollen sich organisieren, dass die Arbeitsbedingungen besser werden. Wichtig dabei ist auch das politische Feld. Es gibt Gesetze, die müssen aber eingehalten werden!!! Die Gewerkschaften sollen dafür kämpfen. Ganz realistisch sieht Agnaildo die Möglichkeiten: Noch ist es ein Kampf, dass es nicht noch schlechter wird.

Steinpyramide
Stolperstein oder Eckstein? Alles Ansichtssache!
© Alexander Dreher / pixelio.de

Paolo Suess ergänzt die Erläuterung der tatsächlichen Situation der Bevölkerung in Brasilien. Es gibt verschiedene Gruppen, die benachteiligt sind. Dilma, die Regierungschefin von Brasilien, verhandelt im Moment mit allen. Sie kann Zugeständnisse machen an die arme Bevölkerungsgruppe, wenn sie die Erhöhung der Buskosten zurücknimmt,  wenn sie mit der Gewerkschaft besseren Lohn aushandelt. Die Indios aber wollen keine Zugeständnisse, sie wollen ihr Land zurück, das ihnen vor 500 Jahren genommen wurde und das ihnen auch heute noch durch kriminelle Methoden abgenommen wird. Dafür kann Dilma nichts tun – weil das gegen die Interessen der Zuckerrohrfabrikbesitzer wäre, die das Land dazu brauchen.

Für den Vormittag schließe ich mit einem Wort von Agnaildo:

„Steine im Weg können Stolpersteine sein oder Ecksteine werden.“

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