Die Favela Planalto und die Menschenrechte

Ein wunderschönes Obstfrühstück erwartet uns nach dem anstrengenden Kofferpacken. Wir essen nicht lang, dann beginnt die Verabschiedung von den anwesenden Familienmitgliedern von neuem. (Noch sind wir in São Paulo) Mit unseren Rollkoffern gehen wir zur Kirche. Unsere Mãe wird die 300 Meter gefahren. Sie ist halt Brasilianerin…  Jetzt treffen wir auf die tränenreiche Abschiedsszene und auf den nachgereisten Martin Lechner, dem die Anstrengung des Flugs anzumerken ist. Auch ein Fernsehteam vom örtlichen Sender ist da und will uns begleiten, wenn wir heute in eine Favela gehen werden.

Favela Rocinha
Die Menge und Größe der Favelas in den brasilianischen Großstädten spiegelt die soziale Schieflage in diesem Land unübersehbar. © Bernhard Thürauf / pixelio.de

Nach vielen weiteren Tränen und Abschieden fahren wir nach Planalto, einer Favela wie Mãe Luiza. Hier werden wir in einem kleinen Kirchengebäude vom Padre und der Jugendgruppe empfangen. Jeder stellt sich vor, und wir erfahren, dass Pastoral hier viel weiter geht als in Deutschland. Pastoral heißt hier, den Menschen in ihren konkreten Schwierigkeiten zu helfen.

Der Gang durchs Viertel zeigt die arme Realität in Brasilien. Kaum zu ertragen, wie die Menschen hier leben müssen. Enge, Müll, Armut. Ein „besseres“ Haus dürfen wir besichtigen, vom oberen Stock aufs Viertel schauen. Ein Haus, das gerade umgebaut, renoviert wird, besteht hauptsächlich aus dünnen Holzbrettern. Wo ist da die Menschenwürde?

Favela
Fast 1/3 der Bevölkerung São Paulos sind Armutsflüchtlinge aus dem Nordosten, wo sie vor der Dürre in der Sertão in die Hoffnungslosigkeit der Slums geflüchtet sind.
© Joachim Keller / FrKr ML

Auf der Straße begegnen uns die Menschen unterschiedlich. Manche beachten uns nicht, manche schauen uns unfreundlich an, aber manche erwidern auch unsere freundlichen Blicke mit einem Lächeln.
In der Kirche kommen wir nochmal zusammen und tanzen gemeinsam.

Der Nachmittag führt uns ins Menschenrechtszentrum. Ein Mittagessen wartet auf uns – ein paar Jugendliche haben uns begleitet und essen mit uns. Nach dem Essen singt und tanzt eine ältere Frau für uns ein Lied aus ihrer Heimat im Nordeste. Sie singt teilweise so schräg und falsch wie ich, aber es hört sich bei ihr trotzdem gut an.

Fernando Altmann erklärt uns dann die Arbeit der Organisation. Dabei holt er weit aus, damit wir den Hintergrund seiner Arbeit verstehen.

Brasilien ist das größte „schwarze“ Land der Erde. Selbst in Afrika gibt es keinen Staat, der genauso viele schwarze Bewohner hat wie Brasilien. Aufgrund ihrer Geschichte wissen die Brasilianer nicht recht, wer sie sind. Sie sind gemischt aus verschiedenen Rassen. Sie denken mit dem Herzen, nicht mit dem Verstand, und deshalb muss jeder der die Brasilianer verstehen will auch mit dem Herzen denken. Das führt gleich zur Religion. Die Religion des Volkes ruft nach einem Papst, der auch mit dem Herzen denkt. Papst Benedikt war das nicht, Papst Franziskus ist das aber schon. Darum ist jeder Brasilianer glücklich über den neuen Papst. Er geht auch nicht gleich zum Weltjugendtag, wenn er nach Brasilien kommt, sondern geht in das Nationalheiligtum von Aparecida und besucht dann eine Favela. Dann erst kommt er nach Rio.

Bild der Verwaltungshauptstadt Brasilia
Die künstliche Betonhauptstadt Brasilia – weit weg von den Menschen © Fabian Voswinkel / pixelio.de

In Brasilien sind die Lebensumstände so ungerecht seit den 500 Jahren der Eroberung, weil die Regierung so unsensibel ist, weil sie nicht die Menschen im Blick hat. Im Menschenrechtszentrum versucht man den Menschen zu ihren Rechten zu verhelfen. Es werden Broschüren herausgegeben, die z.B. die Rechte der Frauen beschreibt, das rechte Verhalten, wenn man mit der Polizei zu tun hat, Informationen für Rentner, und was noch alles so wichtig ist.

Das beeindruckende Beispiel der Arbeit schilderte Renaldo. Er wuchs mit 8 Geschwistern auf, sein Vater war früh verstorben. Als er in seinem Dorf unterwegs war, fragten ihn 2 junge Männer, ob er mit ihnen im Auto mitfahren wolle. Er stieg ein und fuhr mit. Bei einer Polizeikontrolle stellte sich heraus, dass das Auto gestohlen war. Weil die beiden Diebe noch nicht volljährig waren, wurde er als Dieb angezeigt und ins Gefängnis geworfen. Er wurde vor Gericht zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt – obwohl er unschuldig war. Im Gefängnis war zu dieser Zeit ein Aufstand, da wurden alle Insassen geschlagen und misshandelt, auch er. Bei der Berufungsverhandlung änderte das Gericht das Urteil und verlängerte die Haftzeit auf 5 Jahre. Eine Anwältin des Menschenrechtszentrums erreicht seine Freisetzung auf Bewährung. Er entschloss sich, Jura zu studieren, um Jugendlichen auch helfen zu können.

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