Dem Hunger und dem Virus trotzen

Warteschlange vor Robérios Haus

In Europa beginnt man corona-mäßig aufzuatmen und zahlreiche Pappnasen wähnen uns hier in Deutschland in einer Diktatur, weil ein Vermummungs-Gebot herrscht, und die Polizei um 2.00 Uhr morgens zu ihnen sagen könnte: „Du, du, du, da deaf ma fei ned raus geh!“, wenn sie ohne triftigen Grund grölend durch die leeren Straßen ziehen. Außerdem herrscht in Deutschland die katastrophale Situation, dass die hier nichts auf die Reihe kriegen. Erst ein Drittel der Bevölkerung hat eine Impfung und man kann sich den Impfstoff immer noch nicht frei aussuchen. Selbstverständlich haben wir hier in den reichen Ländern auch wesentlich mehr Rechte auf die europaweit 1,8 Milliarden bestellten Impfdosen, als die restlichen 95% der Menschheit in den armen Ländern.
Außerdem sind gefühlte 135% der deutschen Bevölkerung wirtschaftlich so massiv geschädigt, dass sie sich die Mehrkosten für die gestiegenen Hygienestandards bei ihrer nächsten geplanten Fernreise nicht leisten können.

In Ländern wie Indien oder auch Brasilien werden Menschen für die Probleme ihrer Mitmenschen in den reichen Ländern, ihre Haltung und ihre Ignoranz nicht allzu viel Verständnis aufbringen.

© Centro Sócio
Die Essensausgabe bei Padre Robério ist momentan für viele Bewohner der einzige Ausweg aus dem Hunger.

Auch in Mãe Luiza ist die Lage noch lange nicht entspannt. Der Hunger ist immer noch das vorherrschende Thema. Doch Pater Robério wird nicht müde, Helfer zu finden, die Essen kochen und bringen. So kommt jeden Tag zwischen 18.00 Uhr und 19.00 Uhr eine Lieferung frischer Suppe an. Das wissen die Menschen im Viertel und stehen ab 15.00 Uhr vor Robérios Haus Schlange, um an eine warme Mahlzeit zu kommen, die wenigstens einmal am Tag ihren Hunger stillt.

Zwar hat die Regierung jedem Brasilianer 200 Real (momentan 30 € wert; der Mindestlohn liegt bei 150 €) versprochen, weil die Lebens- und Arbeitssituation der Armen ja nicht nur in Mãe Luiza verheerend ist, aber dieser versprochene Zuschuss kommt nicht überall an. Abgesehen davon reicht er nicht lange und die Arbeitssituation wird auf lange Sicht nicht besser werden. Deshalb steht an erster Stelle der Hilfsmaßnahmen im Viertel momentan die Verteilung von Lebensmitteln.

In dieser Woche wurde Gemüse verteilt. Um 5 Uhr morgens standen die Menschen schon vor dem Haus des Padre an, um ab 10 Uhr etwas von der Gemüselieferung abzubekommen. „Meine Räume gleichen eher einem Vorratslager als einem Wohnzimmer“, sagt Roberio und freut sich, dass er den Menschen helfen kann.

In Mãe Luiza hat die Ergänzungsschule Casa Crescer wieder geöffnet, obwohl (oder gerade weil…) die staatlichen Schulen noch geschlossen sind – ohne Perspektive auf eine Öffnung. Die Krankenhäuser sind voll mit unter 50-jährigen, trotzdem hofft Robério auf eine Besserung in 2 oder 3 Monaten, denn trotz der Torpedierungsversuche durch den brasilianischen Präsidenten laufen die Impfungen auch dort an. Allerdings wird in Brasilien vermehrt von „Luftimpfungen“ berichtet. Gerade ältere Leute werden demnach vom Personal mit leeren Spritzen geimpft, um den Wirkstoff am Schwarzmarkt verkaufen zu können oder eigene Verwandte damit zu impfen. So sieht echter Mangel und echte Not aus…

Auch wenn das große Thema im Moment erst mal „Überleben“ heißt, kümmern sich Padre Robério und das Centro Sócio auch um die mentale Gesundheit im Viertel.

Vieles liegt im Argen, nicht nur aufgrund der Corona-geschuldeten Missstände. Kinder und Jugendliche haben psychische Probleme, aber keinen Ort an dem sie fachkundige Hilfe erhalten. Auch Erwachsene bräuchten psychologische Unterstützung und bekommen keine. In diesem Zusammenhang möchte das Centro Sócio eine „psychische Tagesklinik“ einrichten, die Anlaufstelle für hilfesuchende Menschen sein soll.
Autismus ist nicht nur in Europa bekannt, auch in Mãe Luiza gibt es einige Menschen, die daran leiden. Sie könnten hier eine Anlaufstelle bekommen. Auch eine Zusammenarbeit mit einer Klinik Natals wird angestrebt.

Die Brasilianer tragen trotz allem einen bewundernswerten Optimismus in ihrer Seele und trotzen der Situation. Sie haben Pläne, Pläne, Pläne … (gm, gp)

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