Sogar Jesus zeigt sich derzeit solidarisch mit den Kranken in Brasilien und hat Corona. Allerdings heißt „Jesus“ der Trainer des Fußballclubs in Rio. Mit dem Einzug des Virus in die brasilianische Fußballliga bereift ganz Brasilien allmählich, dass die Lage ernst ist. Dessen Präsident Bolsonaro aber hat es noch nicht wirklich begriffen.
Die Pandemieentwicklung ist der Entwicklung in Europa noch hinterher, aber das exponentielle Wachstum der Erkrankungen ist auch in Südamerika abzusehen. Mittlerweile verhängen immer mehr Bundesstaaten Brasiliens, wie São Paulo und Rio de Janeiro Ausgangssperren. Die Menschen sind sehr beunruhigt und die Reaktionen in den sozialen Netzwerken sind mit denen bei uns vergleichbar. Wobei der Tendenz zum Galgenhumor bei uns, teilweise die Tendenz der religiösen Deutung in Brasilien gegenüber steht. Die ersten Zitate der Apokalypse kursieren.
Für das arme Viertel Mãe Luiza bedeutet die Lage, dass das sozial-pastorale Zentrum für erst mal zwei Wochen den Betrieb in Kindergarten, Ergänzungsschule, Musikschule und Sportzentrum eingestellt hat. Das Seniorenzentrum versucht die Kontakte nach außen auf ein Minimum zu reduzieren und schließt bis auf Weiteres die ambulante Tagesbetreuung von Senioren. Praktikanten werden nach Hause geschickt. Entsprechende Maßnahmen werden in ganz Natal getroffen, wie die Verantwortlichen im Blog des Centro schreiben.
Roberio schreibt im Blog des Altenheims: „Wir bedauern zutiefst, diese Maßnahmen ergreifen zu müssen, in der Hoffnung, dass jeder es verstehen wird, und werden alle Aktivitäten fortsetzen, sobald sich die Situation wieder normalisiert hat.“
Auch die Empfehlungen für Vereinzelung und Hygiene unterscheiden sich kaum von denen in Europa, nur mit dem Unterschied, dass sie eher von den Kommunen ausgehen, weil die Regierung viel zu spät angefangen hat zu handeln. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Brasilianer wesentlich stärker, als wir kühlen Europäer gewohnt sind, in großer körperlicher Nähe miteinander umzugehen. Und noch ein Unterschied: In den Favelas herrscht große Enge, schlechte Gesundheitsversorgung und wenig Hygiene – wie sollen die Maßnahmen da Erfolg zeigen?
Doch die Favelas rücken erst allmählich in den Fokus der Problematik. Das Virus galt bisher als ein Virus der Reichen. Es wurde ins Land gebracht von Reisenden, die in Italien Urlaub gemacht hatten. Ein Favela-Bewohner kann sich so etwas ja nicht leisten und der Mittelstand ist eher klein. Überspitzt formuliert treffen sich arme und reiche Brasilianer ja auch nicht so oft, es sei denn bei Favela-Besichtigungstouren, beim Klo-Putzen oder bei Überfällen …
Wenn es eher die Reichen traf, ist es eigentlich
verwunderlich, dass Präsident Bolsonaro sein Klientel bis jetzt nicht besser
schützt, aber – wie es bei rechten Populisten des Öfteren der Fall ist – er
überschätzt sich selbst, ist egoman und beratungsresistent.
So sprach er noch vor wenigen Tagen von Corona als „gripezinha“, also als
kleines Grippechen“, hält das Land für vorbereitet, und rät, das
Gesundheitssystem nicht mit unnötigen Arztbesuchen zu belasten. Außerdem
schüttelte er bewusst viele Hände und umgab sich mit Menschenmassen, obwohl er
letztens schon selbst unter Corona-Verdacht stand.
Seine Beliebtheitswerte waren – besonders bei den Ärmeren – noch nie besonders hoch, jetzt liest man unter großer Zustimmung bei Facebook: „Wir hatten in der Geschichte dieses Landes noch nie einen Präsidenten, der so schlecht, so oberflächlich und so inkompetent war.“ Kein Wunder – er wurde ja in einem fast schon „Staatsstreich“ von den Reichen an die Macht gebracht, die unter den sozial ausgewogenen Präsidenten Dilma und Lula ihre Felle davonschwimmen sahen.
Die brasilianische Regierung kündigt zwar eine Art
Grundeinkommensinitiative für drei Monate an, die angeblich 200 (Real-) Milliardäre
Brasiliens werden davon aber kaum etwas finanzieren. Die Hälfte des Vermögens
dürfte ungefähr bei 1% der Bevölkerung liegen.
Gleichzeitig will die Regierung den Unternehmen ermöglichen Arbeitszeit und
Löhne um 50% zu kürzen. Klingt vernünftig, wenn die armen Bevölkerungsschichten
davon noch leben könnten und wenn nicht damit zu rechnen wäre, dass damit der
Mindestlohn auf Dauer wieder ausgehebelt würde. Aparecida platzt der Kragen,
sie schreibt auf Facebook: „Andere Länder
tun das Gegenteil. Sie geben schutzbedürftigen Menschen Prämien, garantieren
Löhne und Arbeitsplätze. Und der Psychopath und seine Truppe tun was? Sie
bestrafen die Schwächsten.“
An der Basis in Mãe Luiza, was macht man da?
Kaline ist traurig, weil die Kirchen mittlerweile geschlossen sind.
Paulo teilt einen Beitrag, in dem es heißt: „Wie kann man Gutes aus den Zeiten von Corona ziehen? Sieh dein Haus nicht als Gefängnis, sondern als Heiligtum der Liebe und des Geschützt-Seins.“
Ein Padre António schreibt: “Ein reifer Christ ist einer, der gelernt hat, im Glauben und nicht nach seinen Gefühlen zu leben. Er verzweifelt also nicht in schwierigen Zeiten, weil er weiß, dass derselbe Gott, der ihn berufen hat, derjenige ist, der es ihm ermöglicht, die Welt zu überwinden.“
Na ja – in Brasilien könnte dieser Trost funktionieren. Ich finde nur, dass schon mal mit der Erlösung im Jenseits zu rechnen, ein bisschen zu wenig ist. Da sollte man vorher noch was Anderes probieren. Aber okay – bei diesem Präsidenten und bei diesem Gesundheitssystem …