Brasilien – Von Gegensätzen und Gerechtigkeit

Brasilien ist das vermutlich bunteste Gemisch von Völkern auf dieser Erde, und im Grunde genommen ist die brasilianische Art zu leben vom Grundsatz “leben und leben lassen” geprägt, es gibt aber drei Achsen des sozialen Zündstoffs, die tief verankert sind und deren selbstverständliche Pflege uns Deutsche, mit unserer zweifelhaften Vergangenheit, etwas erschreckt.

Bild eines Mãe Luizianischen Urgesteins
Klaus mit einer Bewohnerin des Espaco Solidário. Maria Gonçala gehört zu den ersten Bewohnern der beginnenden Favela Mãe Luiza. Sie flüchtete, wie viele hier, vor der Trockenheit im Hinterland.

Einmal der Gegensatz zwischen Arm und Reich, zum Anderen die Spannungen zwischen hell- und dunkelhäutig und eigentlich auch noch die Missachtung der Nordestinos (also der Nordbrasilianer) durch die Menschen weiter im Süden.
Diese drei Achsen lassen sich leicht zu einer zusammenführen:
Der Reiche Weiße im Süden verachtet den Armen Dunkelhäutigen im Norden. Das ist tiefster Kolonialismus, unter dem dieses Land bis heute leidet. – Nur tun wir das nicht weltweit?

schwarz und weiß
Ein brasilianischer Spruch (den ich mir bestimmt nicht zu eigen machen möchte) lautet: “Wenn der Neger nicht am Eingang sch***t, dann sch***t er am Ausgang”. Soll heißen, dass dunkle Hautfarbe schon mal grundsätzlich eine Garantie für Misstrauen und Abwertung ist.
Im sozialen Ansehen stehen ganz unten die indianisch aussehenden Menschen, dann die Dunkelhäutigen, dann kommt lange nichts und dann kommen die Weißen.
Dazu eine Anekdote aus dem Espaco Solidário: Nenem gehörte zu den ersten Bewohnern des Seniornheims. Sie ist mittlerweile verstorben, war weiß und aus etwas besserem Hause. Sie war liebenswert und anständig und bestimmt nicht rassistisch. Als Padre Robério sein Amt antrat, der seine indigenen Wurzeln nicht verleugnen kann, krummelte sie ständig vor sich hin. Als sie ihn dann doch ins Herz geschlossen hatte, tat sie einmal den Ausspruch: “Na ja, so dunkelhäutig is er ja eigentlich doch gar nicht.”
Auch die Dunkelhäutigen selbst sind eher selten stolz auf ihr Aussehen. Das Schönheitsideal ist weiß und blond mit geraden Haaren.

arm und reich
Als europäischer “Kaasloawe” hat man, besonders in einem armen Viertel wie Mãe Luiza, ein grundsätzliches Problem: Man ist weiß. Dies hat jetzt weniger mit Rassismus zu tun, als mit der Tatsache, dass die Gleichung gilt: weiß = reich; damit blendet man die Menschen nicht nur durch seinen weißen Bauch, sondern man sticht geradezu als lukratives Opfer für einen Überfall ins Auge. Wenn auch unsere Anwesenheit im Viertel schnell bekannt ist und “DIE alemãos” hier große Wertschätzung genießen, kann man (v.a. allein) in den falschen Gassen doch schnell in Bedrängnis geraten.
“Weiß = reich” entspricht ja auch den Tatsachen. Auch der deutsche Student ist im Verhältnis reich. In Brasilien nimmt maximal ein Drittel der Bevölkerung am eigentlichen Wirtschaftskreislauf teil, die Mehrheit lebt am Rande des Existenzminimums und hält sich, wenn es gut geht, mit kleinen Jobs über Wasser. Wenn es schief geht … tja – wer hier kriminell wird, sichert meist nur das Überleben seiner Familie, im schlimmsten Fall sichert er seine Drogenkarriere.
Der durchschnittliche Weiße hier ist Großgrundbesitzer oder in irgendeiner Chefetage tätig, wohnt im bewachten Wohnviertel in Luxus und hat für die Probleme der Armen nur bedingt Verständnis. Der durchschnittliche weiße Tourist, der sich bis ins Armenviertel vor traut, sucht allzu oft Frischfleisch statt ehrliche Begegnung. Und dann kommt da der dunkelhäutige Arme … und schon schließt sich der Teufelskreis zwischen Misstrauen und Ausbeutung und die ersten beiden Achsen wären vereint …

Blick in das Gestrüpp der Sertão
Der Nordosten Brasiliens ist nur schwer zu bewirtschaften, das bringt viele Menschen in Bedrängnis, deshalb sind sie noch lange nicht weniger wert.

Nordestino
Der Nordosten Brasiliens hatte immer schon Probleme. Im Hinterland wird es sehr schnell knochentrocken und die Niederschläge kommen unregelmäßig. Hier Landwirtschaft zu betreiben ist risikoreich, das Überleben schwer zu sichern. Besonders ab den 60er bis in die 90er Jahren gab es wegen großer Dürren enorme Landflucht. Fast die Hälfte der Bevölkerung São Paulos geht darauf zurück, und auch die Armenviertel um Natal sind in diesen Jahren ziemlich angewachsen.
An den Küsten im Nordosten war in der Kolonialzeit die Lage gar nicht so schlecht, da man hier große Zuckerrohrplantagen hatte. Als der Zucker an Bedeutung verlor, bzw. der Preis verfiel, zog auch hier die Armut ein.
Die Armut des Nordostens ist also stukturell bedingt, und hängt mit Kolonialisation und Vegetationszonen zusammen.
Irgendwie auch nicht verwunderlich, dass man weiter im Süden skeptisch auf die vielen Fremden und Entwurzelten ohne Arbeit schaute und schaut.
Wenn man weit in den Süden Brasiliens blickt, so hat man den Eindruck, dass dort die nationalen Strömungen auch stärker sind als im Norden. Zu allem Überfluss sitzen dort auch noch die Nachkommen der emigrierten deutschen Nazis. Nun will ich sicher nicht behaupten, dass im Süden lauter Nazis wohnen, aber wo die Grundgesinnung nationaler wird, ernten die Armen und Schwachen meist auch weniger Verständnis.

Im Grunde ist Brasilien unsere Welt im Kleinen.
Auch weltweit gesehen gibt es nur wenige Reiche, die bis heute in Kolonialisten-Manier die Anderen ausbeuten und sich dann wundern, wenn die Anderen aufbegehren oder auch ein Stück vom Kuchen haben wollen.
Und wir hier in Deutschland gehören praktisch alle, mit nur wenigen Ausnahmen, zu diesen Reichen.
So müsste eigentlich die Forderung der Armen nicht nur gegen die brasilianische Oberschicht, sondern gegen alle Reichen Länder dieser Welt lauten:

„Gebt uns gerechte Löhne für unsere Arbeit, dann braucht ihr uns keine Almosen zu geben.“

Dann ist der Ball wieder bei uns, wenn wir im Supermarkt stehen, das T-Shirt für 2,99 Euro, die Mango für 29 Cent, den Zucker für 59 Cent, das i-Pad für 249 Euro, die Putenbrust für 79 Cent, und die Milch für 45 Cent kaufen. Dann wird es plötzlich konkret und furchtbar schwierig. Wo dürfen wir jetzt eigentlich zu recht sparen und wo werden wir zu Ausbeutern?
Wie auch immer, wenn wir mit einer gerechteren Welt ernst machen wollen, dann werden wir uns in Deutschland auf schlechtere Zeiten einstellen müssen.
Wenn dabei innerhalb von Deutschland allerdings die Armen immer ärmer, und die Reichen immer reicher werden, ist das bestimmt nicht der richtige Weg. Das Ergebnis sehen wir in Brasilien. So schließt sich wieder mal ein Kreis. …

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