Besuch bei Iara im Hinterland von Paraíba

Bild von Iara mit Schokokuchen
Iara ist sich für einen Spaß nicht zu schade.

Der tiefere Grund fuer unsere Fahrt ins Sertão (1) war ein Besuch bei Iara.
Sie ist ein Mensch voller Energie. Sie spricht laut, viel und schnell. Wenn man sie nicht versteht, wird sie lauter, aber nicht unbedingt langsamer.
Ihr Gang ist leicht gebeugt, die Arme weit offen, damit sie jederzeit möglichst viele Menschen schnell in die Arme schließen kann. Ihre Ohrläppchen hängen etwas, sie trägt wohl gerne große Ohrringe.
Sie ist eine überzeugte und überzeugende, gebildete Pädagogin, die mit ihrem Vor-Leben der Prinzipien über mehrere Jahre den Kindergarten des Centro Sócio geprägt hat. Ihr Laster, das Rauchen, hat ihre Stimme kratzig gemacht, das Schicksal hat sie des Öfteren gebeutelt, trotzdem singt und tanzt sie und lässt sich nicht unterkriegen.

In Caiçara, einer Kleinstadt im Interior (2) von Paraíba (3) lebt sie mit der ganzen Familiensippe und ist dort bekannt wie ein bunter Hund. Ihre Familie ist dort etabliert und wohnt in einem großen, offenen Haus.

Bild von der Hauptstraße der Interior-Kleinsatdt Caiçara.
Die weitläufige Interior-Kleinstadt Caiçara im Wahlkampf: Die orangenen Fähnchen (links) gehören zur Partei von Iara und Cicero (ihrem Sohn). Rechts ist es eher „rotlastig“.

Ihr aktuellstes Projekt ist die Politik, denn im Oktober sind Kommunalwahlen in ganz Brasilien. Ihr Sohn bewirbt sich um das Bürgermeisteramt, Iara selbst um ein Amt, das irgendwo zwischen Stadtteilvorsteher und Gemeinderat liegen müsste.
In allen kleineren Gemeinden (so auch in Caiçara) sind zu diesem Zweck Wahlwerbungen an die Wände gemalt und es hängt an fast jedem Haus mindestens ein Fähnchen mit der Farbe des vavorisierten Kandidaten. Da Iaras Partei (es dürfte eine eher linke Gruppierung sein) quitsch-orange hat, der Gegenkandidat aber ein kräftiges rot, fühlen sich ein paar unserer Reisegruppe in ihren roten T-Shirts nicht mehr wohl.
Um die Gunst der Stunde zu nutzen, werden wir von Iara nicht nur durch die Stadt geführt, sondern begleiten sie dabei auch gleich noch auf Wahlkampftour durchs Viertel. Ob wir ihr Wahlergebnis pushen konnten, wird sich zeigen.

In Brasilien gibt es eine Wahlpflicht für 18 – 70-jährige, sofern sie lesen und schreiben können, alle anderen über 18 haben ein Wahlrecht, aber keine Pflicht.
Es gibt in Brasilien 30 Parteien mit meist recht unklaren Profilen. In den meisten Kleinstädten sind zwei Fahnenfarben im Duell zu erkennen, wobei blau, grün und rot vorherrschen. Welche Partei welche Farbe hat ist mir bei 30 Parteien nicht so ganz klar.

Hier, im gesamten Trockengürtel im Hinterland Nord-Ost-Brasiliens, ist die Wurzel vieler Menschen in Natal, aber auch bis runter nach São Paulo sind sie vor der Trockenheit geflüchtet; in São Paulo hat fast die Hälfte der Bewohner Nordestino-Wurzeln – sie treffen sich dort vor allen in den Favelas wieder …
Die Regierung reagiert inzwischen (mit bis zu 50 Jahren Verspätung …), um die Leute auf dem Land im Nordosten zu halten. Sei es durch Wasserleitungs- und Zisternenprojekte, durch eine bessere Bildungsinfrastruktur auf dem Land oder durch mehr Kindergeld.

So wie bei uns einige Menschen eine Almhütte haben, hat Iara eine kleine Fazenda, also ein Landhaus. Dorthin zu gelangen srapaziert unseren gecharterten Kleinbus bis an seine Grenzen, aber der Motorista (Fahrer) fährt souverän durch trockene Flussbetten, Sandhügel und Steinformationen. Federung scheint der Bus nicht zu haben, das bekommen wir besonders zu spüren, als wir uns 15 Kilometer über eine Sandpiste mit Riesenschlaglöchern, Ausweichstellen und unfertigen Brücken bewegen. Als wir das Ende der Folterstrecke erreicht haben, erfahren wir auf einem Schild, dass die Straße seit 4 Monaten fertig sein soll; ich denke die brauchen noch zwei Jahre.

Blick in die Savannen-;andschaft
Auf dem kuriosen Granitfelsen, der über der Sertão, nahe Iaras Fazenda, thront.

Im Gebiet von Paraíba sieht die Sertão noch recht grün aus, obwohl – in dieser nun zu Ende gehenden Regenzeit – es der Regen praktisch nicht bis ins Hinterland geschafft hat.
Es gibt einige seegroße Wasserpfützen, die nicht versickern und sich teilweise ganzjährig halten, denn unter der mickrigen Vegetations- und Bodenschicht liegt hauptsächlich Granit. Das heißt aber gleichzeitig, dass sich hier kein Grundwasser bilden kann; die Wasserversorgung aus einem etwaigen Grundwasserkörper ist damit nicht möglich.

Auf einer anderen Fazenda, die sich (zu Recht) “Chácara Para[d]iso” nennt, verbringen wir eine Nacht und besuchen auch dort einen Gottesdienst, wo wir auch noch als die “Gäste aus Deutschland” ein Lied singen dürfen / sollen / müssen.


 

(1) Sertão ist das savannen- und halbwüstenartige Land hinter dem Küstenstreifen.
 (2) Als “Interior” bezeichnet man allgemein das Hinterland, das sich hinter dem Küstenstreifen (dem “Litoral”) befindet. Der Küstenstreifen war ursprünglich mit Küstenwald (“mata atlântica”) bestanden, bevor durch die Kolonialmächte der größte Teil durch Zuckerrohrplantagen zerstört wurde. Im Interior wird es schnell ziemlich trocken. Ein Teil davon wird als “Sertão” bezeichnet.
 (3) Paraíba ist der Bundesstaat südlich von “Riogrande do Norte” PA’s Hauptstadt ist João Pessoa.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.